
Die Zwickauer Mulde bei Glauchau/Sachsen fast komplett mit Knöterich-Beständen bewachsen. Mittlerweile ein typisches Bild an vielen Flussläufen. Foto: J. Hering
Haben sie sich vielleicht auch schon einmal darüber geärgert, dass der invasive Staudenknöterich, der sich insbesondere entlang der Flussufer in den vergangenen Jahren geradezu explosionsartig vermehrt hat, die Vogelbeobachtung einschränkt? Bei den Wasservogelzählungen z.B. ist es abschnittsweise kaum noch möglich, die Vögel korrekt zu zählen. Bei Brutvogelkartierungen gelingt es immer weniger, die präzisen Neststandorte vom Eisvogel zu registrieren, weil die Sicht versperrt ist. Die noch vorhandene Wasservogelwelt hingegen nutzt die Knöterich-Bestände geschickt, um Deckung zu finden. Manche Anlieger-Gemeinden haben in der Zwischenzeit enorme Anstrengungen unternommen, um die widerstandsfähige Pflanze zu mähen und damit zurückzudrängen. Ohne Erfolg. Auch eine Schaf-Beweidung konnte nicht helfen.
Allerdings wunderte man sich der Vogelkundler gelegentlich bei Beobachtungsgängen an den Flussläufen im Frühjahr über Revier anzeigende Neuntöter, die auf Knöterich-Beständen (ohne jegliche Heckenstruktur – siehe Foto o.re.) zu finden waren, ebenso wie über intensiv singende Goldammern und sogar Drosselrohrsänger im Knöterich (ohne Schilf). Man gab einer solchen Feststellung eher den Rang einer Zufallsbeobachtung … Aber, weit gefehlt! In den zurückliegenden Jahren erbrachten nämlich gezielte Untersuchungen in Südwest-Sachsen zur Brutvogelwelt erstaunliche Erkenntnisse, die einen anderen Blick auf diesen Neophyt aus Südostasien zulässt. Lesen sie selbst:
In Deutschland und anderen europäischen Ländern sind die asiatischen Staudenknöteriche Fallopia japonica, F. sachalinensis und F. x bohemica als höchstproblematische, invasive Neophyten eingestuft. Neben zahlreichen Untersuchungen, die die negativen Auswirkungen auf einheimische Pflanzengesellschaften und Wirbellose belegen, gibt es nur wenige Studien, die sich mit der Wirkung von exotischen Knöterichen auf Vertebraten beschäftigen. Erstmals 2017 und in nachfolgenden Jahren fanden nun gezielte brutbiologische Untersuchungen vorwiegend in flussbegleitenden Fallopia-Beständen in Südwest-Sachsen statt. Nach einer Stichprobe 2017 mit gefundenen Nestern von Neuntöter, Sumpfrohrsänger, Amsel und Goldammer, wurden Knöterich-Bestände in der Brutsaison 2018 systematisch durchsucht. Es waren 116 aktive Nester nachweisbar, erstmals von Mönchsgrasmücke, Gartengrasmücke und Kuckuck. Bei weiteren Untersuchungen bis einschließlich 2024 wurde auch das regelmäßige Brüten von Singdrossel, Teichrohrsänger und Grünfink festgestellt.
Es handelt sich um erstmalige, detaillierte Beschreibungen von Brutplätzen diverser Singvogelarten in Beständen asiatischer Staudenknöteriche. Die bisherigen Informationen zu Nest und Neststandort erfahren teils eine beachtliche Erweiterung. Die unerkannte Bedeutung der Neophyten als Bruthabitat wird eindrucksvoll belegt.
Diese Ergebnisse sind Anlass für weitere umfassende Untersuchungen zur Avizönose der Fallopia-Bestände. Sie fordern einen Wandel in der anhaltend intensiv betriebenen einseitigen Öffentlichkeitsarbeit. Trotz der unbestrittenen Problematik, dass Staudenknöteriche Struktur und Arteninventar betroffener Ökosysteme vollkommen verändern können, spricht die erfolgreiche Einnischung einheimischer Vogelarten für eine angemessene Akzeptanz der fremdländischen Pflanzen. Eine Bekämpfung der Knöterich-Bestände sollte aufgrund der avifaunistischen Bedeutung nur außerhalb der Brutzeit der genannten Singvogelarten erfolgen.
Jens Hering
Titelbild: Brütendes Neuntöter-Weibchen im Staudenknöterich. Alle Fotos: Jens Hering
Hering 2019_Fallopia & Brutvögel_Der Falke
Hering 2019_Fallopia & Brutvögel_Die Vogelwarte
Hering 2020_Songbirds breeding in stands of knotweed in Germany_Brit. Birds 113